Herbstgedanken

120. Wilhelm von Humboldt schreibt an seine Frau aus Burgörner, 15. November 1824

….Die hübsche und lange hier mit mir vertraute Natur hat mich wieder sehr angezogen. Ich bin gleich am Tag nach meiner Ankunft auf den Kirchberg gegangen und habe lange oben verweilt. Die falbe Sonne und die entlaubten Bäume haben doch auch einen eigenen Reiz. Man entbehrte viel lieber den Winter, aber wenn er einmal da ist, kann man doch auch nicht seine Reize verkennen, die er unleugbar hat.

Es wird mir hier immer alles neu, wie wir zuerst hier zusammen wohnten. Die tiefe Liebe bleibt doch durch das ganze Leben der höchste Genuss………

121. Humboldt an Caroline Burgörner, 20. November 1824

Ich schrieb Dir gestern vom Hüttenmeister Böttcher. Er ist Montag krank geworden und hat gleich gesagt, dass er nicht wieder aufstehen würde. In der Nacht seines Todes hat er die Stunde, Mitternacht, richtig bestimmt. Er hat von allen Menschen Abschied genommen und auch den Hüttenleuten sagen lassen, dass er in seiner Todesstunde an sie gedacht. Der Mut und die Treu so ganz gewöhnlicher Naturen in solchen Augenblicken ist mir immer rührend. Er beweist, das die menschliche Natur da reiner erscheint, aber auch, dass das Beste und Edelste im Menschen recht wenig von Bildung, Erziehung und wie man es nennt, abhängt. Man kann nie genug Achtung für das wahrhaft Menschliche in den Personen ganz un-gebildeter Stände, und nie genug Demut haben, wenn man sich manchmal über sie setzt. Das einzelne, gar nicht bemerkbare Zusammenwirken dieses wahren Gehalts im Volke ist die Grundlage des höchsten in jeder Nationalentwicklung. Alle Bildung würde wie ein Kranz verwelken, den man um einen toten Stamm windet, wenn nicht dieser Stamm ihn durch seine unsichtbaren Kräfte belebt.

Den 25.

Ich kann Dir nicht sagen, wie mich die Linden am Wehr, selbst blattlos wie sie jetzt stehen, und der Himmel, wenn er noch wolkig ist, anziehen. Es gibt einem nicht gerade etwas, man empfängt keine neuen Gedanken. Aber es ist, als wenn eine Saite in der Seele angeklungen wird, die alles andere spornt und bewegt. Ich habe darin eine eigene Natur, die mich auch wirklichgehindert hat, im Leben mehr zu tun und zu lernen. Dieselben Bilder, dieselben Eindrücke lasse ich gern immer wieder an mir vorübergehen, und sie scheinen mir das Leben reicher zu füllen als eine bunte Mannigfaltigkeit neuer.

Man hat den seligen Böttcher nicht recht tot geglaubt, indes doch mit allem Prunk begraben, nur die Grube nicht zugeworfen und den Sarg ein bisschen offengelassen. Da gehört viel Lebenslust dazu, in der Kälte auf dem Hettstädter Kirchhof ans Tageslicht zu kommen. Der arme Böttcher ist auch klüglich unten geblieben. Wir haben wirklich viel an ihm verloren.

Kommentare sind geschlossen.