bei Hettstedt
in der königlich-preußischen Grafschaft Mansfeld von M. Büttner
Versetzen wir uns etwa 150 Jahre zurück in die damals königlich-preußische Grafschaft Mansfeld und besuchen auch das zur Zeit 5000 Einwohner zählende Bergstädtchen Hettstedt, so finden wir südlich in unmittelbarer Nähe an der Magdeburg-Erfurter Chaussee das Schlackenbad. Dieses war die Schöpfung und das Eigentum des damaligen Bürgermeisters Heddrich. Die Schlackenbäder, benannt nach der weltbekannten Mansfelder Schlacke, sind eine merkwürdige Zeiterscheinung des Mittelalters. Jedoch sind sie noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts anzutreffen. Heute sind diese Schlackenbäder schon fast alle der Vergessenheit anheimgefallen, so daß es also wohl lohnt, sich etwas mit diesen alten Mansfelder Kulturerscheinungen zu befassen.
Das bisher nachweislich älteste Schlackenbad finden wir schon im Jahre 1484 in Röblingen a.S. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wird in Eisleben ein solches Bad eingerichtet, und zwar auf der Mittelhütte. Das Hettstedter Schlackenbad wurde im Jahre 1854 unter dem Namen „Friedrich-Wilhelmsbad“ gegründet.
In einem Sonderdruck aus der Illustrierten Zeitung vom 19. Mai 1855 (Druck : F.A. Brockhaus in Leipzig; Verfasser: Dr. Rupprecht, prakt. Arzt und Bergarzt), betitelt „Das Schlackenbad bei Hettstedt in der königlich-preußischen Grafschaft Mansfeld“ lesen wir folgendes:
„ Das Schlackenbad liegt südlich und fast unmittelbar vor der etwa 5000 Einwohner zählenden freundlichen Bergstadt Hettstedt im mansfelder Gebirgskreise an der magdeburg-erfurter Chaussee, am Fuße des östlichen, das Wippertal bildenden Berggehänges, 750 Fuß über dem Spiegel der Nordsee. Das im vorigen Jahre erbaute, großartige und elegante Etablissement ist mit Schiefer gedeckt und enthält höchst komfortabel eingerichtete Badezellen, mit Brause- und Duschvorrichtung, mehrere größere und kleinere Salons, ein Musik- und ein Konversationszimmer, einen großen, sehr geschmackvollen Saal, sowie die Räume für die Baderestauration. Das neue Badehaus mit zehn Badezellen, einem russischen Dampfbade, Gasbaderaum und Versammlungszimmer ist im Bau begriffen und wird im Laufe des Vorsommers zur Benutzung bereit sein. Es sind Veranstaltungen getroffen, daß auch andere Bäder, Sool-, Mutterlaugensalz-, Schwefel-, Eisen-, Fichtennadeldekoktbäder usw. genommen werden können, je nach dem sich aus dem Krankheitsverlauf die Notwendigkeit dazu ergibt. In der nahe vorüberfließenden Wipper wird ein Wellenbad hergerichtet, und eine Niederlage der verschiedenen natürlichen und künstlichen Mineralwässern steht zur Disposition für den Bedarf.“
Einige Abschnitte weiter finden wir interessante Aufschlüsse vom Leben in Hettstedt zu damaliger Zeit. Auch soll die Grafschaft Mansfeld früher eine gesunde Gegend, besonders für chronische und Lungenkrankheiten, gewesen sein. Der Verfasser vorgenannter Schrift schreibt z.B.:
„Das Leben in Hettstedt ist billig und angenehm. Gesunde, freundliche Wohnungen sind für bis 4 Thaler, und je nach der Größe mehr, wöchentliche Miethe zu haben, und die Baderestauration, sowie städtischen Gasthäuser liefern einen guten und billigen Mittags- und Abendtisch. Mit Halle und Bernburg, wohin man von überall mit dem Dampfwagen gelangt, ist Hettstedt durch Chausseen verbunden, ebenso mit Magdeburg, Halberstadt, Nordhausen und Erfurt.
Unsere Gegend erfreut sich einer besonders günstigen Salubrität; epedemische Krankheiten kommen nur selten vor und erreichen nie eine größere Verbreitung und Bösartigkeit. Ebensowenig gilt es hier stehende Krankheiten, z.B. Wechselfieber, Schwindsucht, Cholera, Kropf etc., sodaß die Sterblichkeit eine verhältnismäßig geringe ist. Der Volksglaube vindiziert den Hüttenwerken im Wipperthale: Der Saigerhütte, Kupferkammer-, Gottesbelohnungs-, Kreuz- und Katharinenhütte einen besonderen Einfluß auf diese günstigen Gesundheitsverhältnisse, indem er dieselben als großartige Ventilations- und Desinfektionsanstalten ansieht.“
Als Entschädigung für das vielfach einförmige Leben der Badegäste während der Kur schildert der Verfasser die Umgebung Hettstedt’s und macht den Kurgästen Vorschläge für längere und weitere Spaziergänge, wie wir aus folgenden Abschnitten, die uns gleichzeitig sagen, daß unsere Mansfelder Heimat zu damaliger Zeit noch mehr an Naturschönheiten bot, ersehen:
„Und will man lohnende Spaziergänge machen, man hat sie nicht weit zu suchen. Eine halbe Stunde von dem Bade liegt das freundliche Burgörner, der Lieblingsaufenthalt des unvergeßlichen Wilhelm von Humboldt, jetzt dem General von Hedemann gehörig. Das Lindenholz bei Burgörner, der Fliederberg mit seiner Ruine, dies alles sind Punkte, die Jeder oft und gern besuchen und sich mit Wonne in den Blick auf Örner, das Wipperthal mit seinen Abendduft und seinen rauchenden und rauschenden Hüttenwerken und die von der Abendsonne vergoldeten Waldeshöhen des Vorharzes versenken wird.
Ein Stündchen weiter, und man hat Mansfeld erreicht, mit seinem alten Schlosse, jetzt im Besitz des Barons von Schenk, und den vielfachen Erinnerungen an Luther und an das alte Grafengeschlecht, das sich in dem Namen, den es der Grafschaft gab, seinen Untergang überdauert hat. Und noch eine Wegstunde weiter in dem Wipperthale, das an romantischer Schönheit dem Selke- und Bodethale oft nicht nachsteht, und man befindet sich in jenem wundervollen Thalkessel, wo auf einem Dioritkegel Schloß Rammelburg thront, das reizende Besitzthum des Kammerherrn Frhr. v. Friesen. Wer möchte ferner von dort aus nicht die Grillenburg, und die Mooshütte bei Möllendorf besteigen, von wo man den Kyffhäuser, den Inselsberg, den ganzen Harz, den Petersberg und die magdeburger Gegend mit einem Rundblicke übersehen kann.
Der vielfach einförmige Aufenthalt des Badegastes dauert aber Wochen, daher sind Abwechslung und immer neue Spaziergänge seine Losung. Wohlan, er folge mir in östlicher Richtung durch üppige Feldfluren, oder durch das gruben- und betriebsreiche Bergmannsthal, das östlich den Velthelmschacht, westlich die Ruine von Burgörner begrenzt, nach dem etwa ¾ Stundenden entfernten Welfesholze, wo einst die Welfeshölzer Schlacht das Feld mit Blut tränkte. Historische Erinnerungen, eine entzückende Fernsicht von einer Treppenumwundenen Eiche aus und ein schöner Spaziergang werden die Mühe der Wanderung lohnen. Auch Helmsdorf und Gerbstedt, die vom Welfesholze bald zu erreichenden Besitzungen des Landraths v. Kerssenbrogk und des Rittmeisters v. Neumann, haben schöne Parkanlagen, die Jeder mit Dank gegen die Besitzer betreten wird. Zieht man es vor, vom Bade aus dem Laufe der Wipper zu folgen, so gelangt man auf einem schattigem Wege, dicht an der Wipper, oder auf einem freundlichen Waldpfade am Gehänge des rothen und Jägerberges, an der reizend gelegenen Saigerhütte vorüber, in einer halben Stunde nach Oberwiederstedt, wo die freundlichst geöffneten Parkanlagen, Palmen- und Gewächshäuser des Kammerherrn Freiherrn v. Hardenberg ihre unwiderstehliche Anziehungskraft auf den dankerfüllten Touristen ausüben und ihn zu immer neuen besuchen reizen. Ein ebenfalls höchst angenehmer und einladender Spaziergang führt nach dem eine Stunde entfernten Walbeck, das, im Besitz des Hofrats Tellemann, eine entzückende Lage hat. Wer von dem Zelte aus je sich in den Anblick des Dorfes, der Teiche, Plantagen, Waldungen, Wiesen und Fluren versenkt hat, welche im Hintergrunde der Harz mit Viktorshöhe und Brocken umsäumt, der wird mit Freude der Stunde gedenken, in welcher er eine so wundervolle Natur vor sich ausgebreitet schaute. Die Parkanlagen enthalten die schönsten Baumgruppen unserer ganzen Gegend, schattige Spaziergänge und kühle Felsgrotten. Ein anmuthiger Wiesenpfad führt zum Tannenwäldchen und langen Holze und zurück nach dem lieblichen Wipperthale. Von Hettstedt aus steigt ferner ein freundlicher Weg durch das Hadebornthal über Meisberg nach dem Frauenholze auf ( ¾ Stunde), von wo man die Windmühle bei Greifenhagen aufsuchen mag (1 ½ Stunde), nach trigonometrischen Messungen der höchste Punkt in der Grafschaft und deshalb von einem großarthigen Panorama umgeben. Will man einen Spaziergang von nahe zwei Stunden machen, so suche man die schöne Ruine Arnstein auf, ein verfallenes Schloß der mansfelder Grafenfamilie; eine prachtvolle Aussicht auf die gastliche Buschmühle, auf das Dorf Harkerode mit dem Kammerherrn Freiherrn v. Knigge gehörigen Schlosse, auf die schönen und großen Parkanlagen, sowie auf viele Ortschaften, Fluren, Thäler, Berge und den fernen Harz entschädigen reichlich für den ziemlich anstrengenden Weg.
Zieht man fernere Touren vor, so sind der Falkenstein, Mägdesprung, Alexisbad, Viktor- und Josephshöhe, andererseits der Stufenberg, Suderode, das Bodetal mit der Roßtrappe, Wernigerode, Blankenburg, Ilsenburg, der Brocke ect. ebenso schöne als lohnende Partien, sämtlich in wenigen Tagen von hier zu durchreisen und zu besteigen. Will man sich gegen Thüringen wenden, so ist der alte Kyffhäuser und die Rothenburg in zwei Tagen, die Rückreise mitbegriffen, bequem zu besuchen. Als eintägige Tour endlich ladet Eisleben mit seinen vielen Erinnerungen aus der Lutherzeit zu einem lohnenden Besuche ein, sowie hinter Eisleben, der süße und der salzige See, die beiden Augen der Grafschaft Mansfeld, wie sie ein alter Chronist nennt.
Freunde der Landwirtschaft finden in unserer Nähe eine große Anzahl vortrefflich geleiteter Wirtschaften, mit oder ohne technischen Betrieb, und die Kultur der schweren mansfelder Gerste und es vollwichtigen Weizens, welche unsere Gegend auch als Ackerbaudistrikt auf dem Weltmarte berühmt gemacht hat.
Und wer die Pflanzenwelt, die Tierwelt kennt und liebt, der wird bei seinen Exkursionen reiche Schätze in der Flora und Fauna unserer Umgebung sammeln, ebenso wie der Mineralog interessante Funde mit sich nehmen wird.“
Wir müssen gestehen, daß Dr. Rupprecht, der Verfasser der vorgenannten Schrift und damals leitender Arzt des Schlackenbades, ein großer Naturfreund und genauer Kenner der Mansfelder Lande war. Er verstand es, in seiner würzigen und interessanten Art zu erzählen, die Fremden, die Heilung ihrer Leiden suchten, auf das Schlackenbad in Hettstedt hinzuweisen und sie zum Besuche desselben einzuladen.
„Den Rausch und den Luxus der Bäder in großem Stil wird man bei uns vermissen, aber ein herzliches Willkommen und freundlicher und gewissenhafter Behandlung und Aufnahme darf sich Jeder versichert halten.“
So schließt Dr. Rupprecht seinen Sonderdruck aus der Illustrierten Zeitung vom 19. Mai 1855.
Wie schon erwähnt, sind diese Schlackenbäder heute fast der Vergessenheit anheimgefallen. Ja was für einen Zweck hatten denn eigentlich diese Bäder, und worauf sind denn ihre heilkräftigen Wirkungen zurückzuführen? Nach einer wissenschaftlichen Analyse, die der damalige Bergarzt Dr. Rupprecht in Halle anstellen ließ, sollen in diesem Schlackenwasser folgende Chemikalien enthalten sein. An Basen: Kakerde, Talkerde, Kali, Natron; an Säuren: Kieselsäure, Phosphorsäure, Schwefelsäure, Chlorwasserstoffsäure und Fluorwasserstoffsäure. Die noch glühenden Rohschlacken, die in verschlossenen eisernen Karren von der Kupferhütte zum Schlackenbade gebracht wurden, stürzte man mit einer Temperatur von 300.400 Grad R in den sogenannten „Schlackenbrunnen“. Unter Aufbrausen und starker Dampfentwicklung kam so das schäumende Wasser in Siedehitze. Dieses heiße Schlackenwasser wurde nun in die Badewannen geleitet und bis zur erforderlichen Badewärme abgekühlt. Ebenso war das Badewasser als innerliches Heilmittel zu gebrauchen, natürlich in geringen Quantitäten. Aus nachfolgender Aufzählung von Krankheiten ist zu ersehen, für was für Gebrechen und Leiden das Schlackenwasser empfohlen wurde: Rheumatismus, Gicht, chronischer Gelenkrheumatismus, Involutionskrankheiten, Ausschläge, Drüsenanschwellungen, Geschwüre, skrophulöse Augenentzündungen, Ohrenfluß und dadurch hervorgerufene Schwerhörigkeit, englische Krankheit, Knochenleiden, Nervenkrankheiten, Veitztanz, Lähmungen, Bleichsucht, Muskelschwäche, Blutwallungen, Hämorrhoidalleiden, Unfruchtbarkeit, Schwächezustand nach überstandenen Krankheiten (Wochenbetten), übermäßige Anstrengungen geistiger und körperlicher Art.
Das Hettstedter Schlackenbad wurde von Jahr zu Jahr größer. Es wurde eine regelrechte Badesaison eröffnet, deren Besucherzahl sich mehr und mehr steigerte, sodaß Hettstedt etliche Jahre in die Reihe der deutschen Kur- und Badeorte eingereiht wurde. Jedoch die Blütezeit des Friedrich-Wilhelmbades dauerte nur ein Jahrzehnt. Das alte Volksheilmittel wurde von der darauffolgenden Entwicklung der ärztlichen Wissenschaft mehr und mehr verdrängt.
Ein Stück echt mansfelder Heimat aus vergangenen Zeiten ließen wir an unserem inneren Auge vorüberüberziehen. Möge das Gelesene, besonders die Schilderung der Umgebung des Schlackenbades, allen Natur- und Heimatfreunden Wegweiser und eine reiche Fundgrube zu neuen Fahrten und Streifen durch unsere Mansfelder Heimat sein! Glück auf!
Nachfolgend, in wahlloser Reihenfolge, Zeitungsausschnitte und Bilder, welche an das „ Friedrich-Wilhelms-Bad “ erinnern.
Das Leben des unternehmungsfreudigen Bürgermeister Heddrich endete tragisch. 1863 gehörte er zu den Opfern der Hettstedter Trichinose-Endemie. Er verstarb am 20. November 1863.
Im Stadtpark erinnert ein Stein an die zahlreichen Opfer.
Die Gebäude des „ Friedrich-Wilhelms-Bades “ sind noch heute erhalten. Nach 1945 war das Kurgebäude kurz als russische Kommandantur genutzt. Dann war es Wohnhaus für viele Familien. Das Walzwerk nutzte das Gebäude jahrelang als Poliklinik und später als Kindergarten. Nach der Wende wurde es zu einem modernen Mehrfamilienwohnhaus umgebaut. Das Gebäude mit dem Saal (hinter dem ehemaligen Apollo Kino), indem so viele schöne Veranstaltungen stattgefunden haben, ist auch noch vorhanden. Es wird schon jahrelang als Lagerraum genutzt.
Die einzige erhaltene Therapiewanne des Schlackenbades mit Holzboden befindet sich im Mansfeld-Museum.