Dem preußischen Staatsmann und Gutsherrn von Burgörner
> Wilhelm von Humboldt <
Zum Gedenken, anlässlich seines 175. Todestages am 8. April 2010
In der gelehrten Welt erfreuten sich beide Humboldts (Wilhelm der Staatsmann und Gelehrte und sein jüngerer Bruder Alexander von Humboldt der Naturforscher und Weltreisende) großer Verehrung und Zuneigung; wenn man aber — und das schon in den dreißiger Jahren — von Humboldt sprach, so war in der Regel Alexander gemeint und nicht Wilhelm. Vorsorge für eine gewisse Publizität gehörte zu den liebenswerten Schwächen des jüngeren der beiden großen Brüder, während der ältere, auch ehe er zurückgezogen in Tegel lebte, vielen seiner Mitbürger und selbst einigen seiner Freunde in mancher Hinsicht rätselhaft erschienen war.
Nur wenigen hatte er sich ganz erschlossen, vor allem seiner Frau, Schiller, Karoline von Wolzogen und dem Bruder. Varnhagen von Ense, der als einer der ersten Zeitgenossen und politischen Gesinnungsfreunde Humboldt eine Würdigung widmete, die im Jahre 1838 erschien, urteilte: »Nach wiederholter, allseitiger Prüfung und im Aufblicke von dem Minderwesentlichen und Zweifelhaften zu dem wahrhaft Großen und Entschiednen wird für Humboldt immer als letztes Ergebnis feststehen, dass er einer der außerordentlichsten Menschen war, die unsere Zeit gesehen hat, und dass hohe Bildung und Wissenschaft und unverletzte Würde des Charakters in ihm ein reiches bewegtes Leben mit jedem Ruhm erfüllt haben.« Trotz der hohen Wertschätzung, die aus diesen Worten spricht, bleibt der Vorbehalt unüberhörbar. Auch im Zeitalter des Persönlichkeitskultes war es, wie selbst Goethe erfahren musste, nicht leicht, als überragende Persönlichkeit anerkannt zu werden.
Wilhelm von Humboldt gehört zweifellos zu den überragenden Persönlichkeiten seiner Zeit. Er war im Werden und Wirken Wegbereiter einer neuen Epoche der menschlichen Gemeinschaft, Künder und Förderer einer Humanität, die er, gebunden an die Gegebenheiten seiner Zeit, im persönlichen wie im gesellschaftlichen Leben zu verwirklichen suchte.
»Ich kann kaum der Begierde widerstehen«, hatte er gegen Ende seiner Wanderjahre an Friedrich Schiller geschrieben, »soviel als nur immer und irgend möglich ist, sehen, wissen, prüfen zu wollen. Der Mensch scheint doch einmal dazu dazusein, alles, was ihn umgibt, in sein Eigentum, in das Eigentum seines Verstandes zu verwandeln, und das Leben ist kurz. Ich möchte, wenn ich gehen muss, sowenig als möglich hinterlassen, das ich nicht mit mir in Berührung gesetzt hätte.« Er hat dieser Begierde nicht widerstanden, und seine günstigen äußeren Verhältnisse ermöglichten es ihm, viel zu sehen und kennen zu lernen, zu wissen und zu prüfen. Doch hat er es bei illusionslosen Einsichten und harten Urteilen nicht bewenden lassen, sondern das Seine getan, um die Menschen wissender zu machen, ihnen Wege in eine menschlichere Zeit zu weisen. Er hat in »Ideen« gelebt, von dem Wunsche erfüllt, der Menschheit voranzuhelfen, und ohne dabei die grausame Wirklichkeit seiner Epoche träumerisch zu übersehen. Er kämpfte gegen den Rückschritt, wo er ihn erkannte.
Karoline von Wolzogen im Jahre 1831 in einem Brief –
»Die persönlichen Seiten«, mit denen der Mensch unmittelbar auf den Menschen wirkt im täglichen Dasein, verlöschen im Leben, die Geschichte deutet sie kaum an, sie sind aber doch die Angeln der Weltbegebenheiten, da sie von Geschlecht zu Geschlecht das Innerste der Menschen anregen und bilden.«
Humboldts »Idee« der Geschichte beruhte trotz aller Enttäuschungen und Bitternisse, die er in seinem Leben hatte erfahren und erleiden müssen, auf dem unerschütterlichen Glauben an die fortschreitende Entwicklung der Menschheit, auf der Überzeugung, es werde der wachsenden Einsicht des Menschen endlich doch gelingen, alle Gegensätze innerhalb der menschlichen Gesellschaft zu überwinden. In dieser Gewissheit war er sich mit seinem Bruder Alexander einig der sich noch viele Jahre später im »Kosmos« ausdrücklich zu Wilhelm von Humboldts Worten bekannte, die als ein Vermächtnis beider Humboldts an die Nachwelt zu werten sind:
»Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist; wenn irgendeine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher missverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist: so ist es die Idee der Menschheit, das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesamte Menschheit ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwicklung innerer Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äußere Ziel der Geselligkeit und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins.«
Anmerkung: Die vorstehenden Sätze wurden entnommen:
Wilhelm von Humboldt – Werden und Wirken von Herbert Scurla /Verlag der Nation 1975 Seite 609 – 611
Das Portrait: „Moderne Klassiker – Deutsche Literaturgeschichte“ Ernst Balde, Cassel 1853
Bearbeitung: E.G./Chronist, März 2010